Gemeindeaufbau vor Ort – keine Sache von copy paste

Seminartag Aufbruch im Umbruch
Bildrechte Referent Prof. Michael Herbst, Foto: C. Esgen

Lohr a.Main

„Was verstehen Sie unter Kirche?“ Gleich zu Beginn des Seminars „Aufbruch im Umbruch – Orientierung und Chancen in der gegenwärtigen Kirchenkrise“ bat Manfred Dorsch, Prädikant und CVJM-Vorsitzender in Gemünden, den Referenten Prof. Michael Herbst um eine konkrete Definition. „Wir sprechen häufig von sichtbarer und unsichtbarer Kirche, ich sehe beides nicht als Gegensatz. Nicht einerseits die vor Ort erlebbare Gemeindewirklichkeit - dort die geglaubte, geistliche Kirche, die Kirche Jesu Christi. Im Gegenteil: In der sichtbaren Kirche ist die Kirche Jesu Christi verborgen.“ Michael Herbst, emeritierter Professor für Praktische Theologie an der Universität Greifswald, Mitgründer des Instituts zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG), diskutierte mit rund 20 Seminarteilnehmenden empirische und geistliche Grundlagen und Perspektiven für Gemeinden.

Gegenwärtig beobachte man in Deutschland die Entwicklung fort von einer Volkskirche, in der die Mitgliedschaft „ererbt“ werde, hin zu einer säkularen Gesellschaft, in der Glaube eine Sache der persönlichen Entscheidung geworden sei. Auch in England schrumpfe die Kirche im Ganzen, wachse aber in Teilen. Und dies sei kein Transferwachstum im Sinne von Übertritt aus der einen Konfession zur anderen. Da seien Menschen ganz neu zu Jesus Christus gekommen, besonders, wo Kirche auf eine konsequente „Geh-Struktur“ gesetzt habe. Zu den Menschen gehen, nicht warten, bis oder ob sie kommen. Erfolgreiche Projekte seien aber nicht per copy paste zu übernehmen, sondern dienen als Anregung, um gemeinsam vor Ort das Richtige zu finden. Klar empfahl Herbst auf Nachfrage die Beibehaltung des schulischen Religionsunterrichtes und konfessioneller Schulen.

Prof. Herbst ermutigte, verschiedene Frömmigkeitsstile und theologische Richtungen zu respektieren. „Wir sollten einander den Glauben glauben.“ Sein Ja dazu sei kein erzwungenes Ja. Dennoch mache er die Erfahrung, dass Vielfalt manchmal erlitten werden wolle. „Allerdings - wo Jesus Christus selbst als kritisches Thema gesehen wird, da wird es eng.“ Herbst ermutigte, Gemeindeschwerpunkte zu setzen. „Gemeinden definieren sich durch Profil, nicht durch örtliche Grenzen“, so Herbst. Was müsse vor Ort sein? Was gehe auch gut in der Region? Gerade zur „regiolokalen Kirchenentwicklung“ diskutierten die Teilnehmenden angeregt mit. Der Austausch von Haupt- und Ehrenamtlichen schärfte die Wahrnehmung für unterschiedliche Lebenswelten. Besonders dankbar nahmen Lektoren und Prädikanten konkrete Anregungen des praktischen Theologen auf, wie man heute von Gott reden könne. „Predigt ist eine Laudatio auf einen Anwesenden“, fasste es Herbst pointiert zusammen.

 

Der überregionale Seminartag für Hauptamtliche und theologisch Interessierte wurde zum zweiten Mal von Dekan Till Roth, Lohr, initiiert und vom EBW Frankenforum unterstützt. Der nächste Seminartag wird im April 2024 stattfinden. www.evang-dekanat-lohr.de